Darf’s ein Tässchen Kaffee sein?
Yogalehrerinnen und Yogalehrer sind unglaublich coole Menschen. Sie gehen ganz in ihrer Yogapraxis auf, geben ihr Wissen zum Wohle ihrer Schüler:innen weiter, sind Gutmenschen, haben ihr Leben im Griff, sind schön, haben eine unglaubliche Ausstrahlung. – Habe ich etwas vergessen?
Yogalehrende eignen sich hervorragend als Projektionsfläche für unsere Wünsche und Vorstellungen davon, was ein guter Mensch ist oder wie wir sein wollen. Jedenfalls ging es mir so, als ich mit Yoga begann. Da bewegte ich mich auf der Matte, wurde von meiner ersten Lehrerin liebevoll tiefer in die Stellung gebracht, lachte aus ganzem Herzen mit, wenn sie uns mit ihrem wunderbaren Humor auf unsere Fehler hinwies und hing an ihren Lippen, wenn sie etwas aus diesem tiefen Schatz der Yogaphilosophie auspackte. So wollte ich auch sein! Unbedingt.
Da mich der Yoga vom ersten Moment an aus tiefsten Herzen interessierte, war es für mich ein Leichtes, als Yogaschülerin einen guten Eindruck zu schinden. Ich wollte an Workshops mitmachen, mehrmals pro Woche eine Lektion besuchen, Bücher zum Thema lesen. Und ich wollte – später einmal – auch zu dieser coolen Spezies der Yogalehrerinnen gehören. Mein ernsthaftes Bemühen auf dem Yogaweg wurde wohlwollend zur Kenntnis genommen und ich spürte, wie ich zügig den Berg Richtung Yoga-Olymp erklomm. Bis zu dieser unsäglichen Mittagspause.
An einem der ersten Ausbildungstage für die Yogalehrerinnen-Ausbildung sassen wir im Café gleich um die Ecke des Yogastudios. Wir hatten einen anstrengenden Morgen mit Asanas hinter und einen langen Nachmittag mit Theorie, Vorträgen und Tests vor uns. Ich wollte gerade einen Kaffee bestellen, als mein Yogalehrer sich zu uns an den Tisch setzte.
Das sass ich also. Kurz vor dem Yogalehrerinnen-Olymp. Es war mir klar, dass ich keinen Kaffee bestellen konnte. Wie peinlich, von meinem hoch verehrten Lehrer als oberflächlicher Genussmensch mit wenig Bewusstsein für die Gesundheit entlarvt zu werden! Ich entschied mich für den selbst gemachten Sirup und fühlte mich einen kurzen Moment unglaublich gut. Weise schon fast. Sirup – das ist nicht einfach Wasser, sondern das Zugeständnis, dass ich den Genüssen des Lebens – Zucker – nicht abgeneigt bin. Aber im Mass.
Bis mein Yogalehrer seine Bestellung aufgab: „Einen doppelten Espresso, bitte. Und einen ihrer Nussgipfel.“ Ich war sprachlos. Mein so asketisch wirkender Yogalehrer trank Kaffee. Umgeben von seiner Schülerschar. Zwischen den Yogalektionen.
Das Schönste für mich war, dass er – nachdem ich mich von meinem Schock erholt hatte – nicht von meinem für ihn gebauten Podest herunterkrachte. Nein, ich erkannte, dass ein wunderbarer Yogalehrer wunderbar ist, weil er auch im Alltag lebt. Seine Erfahrungen nicht nur auf der Matte, sondern auch im Café, zu Hause oder im Umgang mit andern macht. Und das lebt, wovon der Buddha gesprochen hat: den mittleren Weg.
Inzwischen stehe ich zu meinen kleinen Lastern. Ich trinke gerne Kaffee. Auch mit meinen Yogafreund:innen. Und ich habe in meinen Lektionen schon Schokolade-Meditationen gemacht – ein höchst sinnliches Erlebnis.
Doch ganz gefeit von dem Bild, wie ich als Yogalehrerin zu sein habe, bin ich immer noch nicht. Kürzlich, als ich im Supermarkt für ein Familienessen einkaufte, sah ich in der Ferne eine Yogaschülerin. Hastig schob ich das Fleisch für meinen Schwager unter den Salat und die Zucchini und packte noch schnell zwei Schachteln Yogi-Tee oben drauf. Schliesslich bin ich Vegetarierin und will nicht so aussehen, als ob ich Wasser predige und Wein trinke.
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